Re: Neues vom Borgward Panzer
geschrieben von: Peter (92.117.181.---)
Datum: 15. Mai 2010 23:09
Hallo Stephan,
Deine schnelle Reaktionszeit habe ich nicht; bei mir dauert es aus beruflichen Gründen meist ein paar Tage, bis ich antworten kann. Der letzte Beitrag von dir erschien mir sehr informativ und die dargestellten Fakten decken sich mit den mir vorliegenden Informationen. Auch ich sehe es nicht als Schwäche, wenn sich ein Unternehmer um lukrative Staatsaufträge bemüht. Allerdings stellen diese immer ein gewisses Risiko dar, weil sie im Rahmen einer Ausschreibung vergeben werden, zu der ein Auftraggeber möglichst konkrete Fakten präsentiert bekommen möchte, für die er in aller Regel noch nichts bezahlt. Im Fall des Geländewagens von Goliath wurden tatsächlich 95 komplette Fahrzeuge gebaut und ausgeliefert, womit der Break Even Point aber noch längst nicht erreicht worden sein dürfte und das Geschäft wohl als Verlust zu verbuchen war. Bei dem hier diskutierten Panzer ist zu vermuten, dass für die Ausarbeitung der Pläne und die Erstellung des heute noch existierenden Modells überhaupt kein Geld floss. Das Kolibriprojekt konnte nicht einmal offiziell vorgestellt werden, weil es zu der TÜV-Abnahme nicht mehr gekommen war. Verlockend für den Unternehmer ist dabei immer die Hoffnung, im Falle eines Großauftrags über sehr lange Zeit Kapazitätsauslastung und kontinuierlich fließende Gewinne zu haben; fällt die Entscheidung aber für einen Mitbewerber, bedeutet dies meist einen massiven Verlust. Das Motto heißt also „alles oder nichts“. Ob die Zahlen auf besagtem Sektor nun bei Borgward unter dem Strich schwarz, rot oder im Nullbereich waren, können wir heute nicht sagen, geschweige denn belegen. Vermutungen wie „ich bin ganz sicher, dass …“ helfen hier bestimmt nicht weiter.
Ganz anders sah es dagegen bei PKW-Modellen aus, die sich schlecht verkauften, wie beispielsweise dem Hansa 2400-Pullman. Obwohl auch hier große Entwicklungsgelder investiert worden waren, die durch Verkaufserlöse nicht gedeckt werden konnten, stellten solche Fahrzeuge einen unschätzbaren Prestigewert dar, der den Verkauf der anderen Modelle ankurbelte. So kam vielleicht mancher Verkauf einer Standard-Isabella dadurch zustande, dass der Kunde seine Neuerwerbung im Unterbewusstsein mit dem für ihn unerreichbaren Luxusobjekt identifizierte, das er in Gedanken fuhr, wenn er am Steuer seines Mittelklassewagens saß. Ein anderer dachte vielleicht, dass ein „normaler“ Wagen von einem Hersteller, der in der Oberklasse etabliert war, auch deren Verarbeitungsqualität haben müsse, und entschied sich deshalb für eine Isabella. Militärzeug ließ sich aber nicht im Showroom ausstellen, sondern wurde meist hinter verschlossenen Türen entwickelt und gefertigt. Hätte man die Positionierung in der Verkaufshalle doch versucht, wäre es wahrscheinlich eher zu einem Abschreckungseffekt der Kunden gekommen, weil diesen durch die abstoßende Hässlichkeit eines in glanzloser Schmutzfarbe lackierten Geländewagens die Lust auf den Erwerb eines eleganten Goliaths vielleicht vergangen wäre.
Die von mir angeführte Schwäche von Carl Borgward war die in einschlägigen Werken oft erwähnte Beratungsresistenz und – damit eng verbunden – die kaum vorhandene Fähigkeit, aus vergangenen Erlebnissen, die gerade noch einmal gut ausgegangen waren, etwas zu lernen. Sein Engagement in der NS-Zeit, das weit über jene Unausweichlichkeiten hinausgegangen war, die zur Abwendung von Gefahr für Leib und Leben unternommen werden mussten, hatte ihm neun Monate Internierungshaft und anschließend Tätigkeiten als Nachtwächter und Hilfsarbeiter am Bau eingebracht. Trotzdem war er sofort wieder dabei, als sich die Gelegenheit bot, unter neuer Fassade an die Vergangenheit anzuknüpfen. Eng damit verbunden war die stets „papierdünne Kapitaldecke“, mit der er es – oft dank großen Glücks – immer wieder geschafft hatte, auf die Beine zu fallen, und die ihm dann zum Verhängnis wurde, als der Export plötzlich unerwartet stagnierte. Hinterher macht man dann gerne den einen oder anderen widrigen Umstand für den Zusammenbruch verantwortlich, aber die eigentliche Ursache waren die fehlenden Finanzreserven, die ihn letztlich in die Abhängigkeit der Banken trieben.
Viele Grüße,
Peter